Zeitmanagement 4.0 – Wo, was, wann und vor allem: wie?

Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Zeitmanagement stellen sich diese Fragen unwillkürlich. Die berufliche Optimierungsschleife für effiziente Selbstorganisation macht Führungskräfte zu Getriebenen des Schnell-Erledigens, des Mehr-an-Aufgaben, des Produktiv-Seins. Zwar bieten digitale Medien zahlreiche unterstützende Hilfsmittel an, aber welche nützen wirklich? Und wo bleibt eigentlich der Mensch? Dr. Nicola Ettlin, Produktmanagerin bei der BWGV-Akademie, wollte im Interview von mir wissen, wie man die Herausforderung Zeitmanagement in digitaler Zeit am besten angeht.

Mehr, schneller, effizienter – die heutigen digitalen Kommunikationskanäle bieten und fordern Geschwindigkeit in Arbeitsabläufen in extrem hohem Maß. Natürlich sind kurze Prozessketten ein Wettbewerbsvorteil, dem alle gerecht werden wollen – wenn es tatsächlich immer so einfach wäre. Ab wann ist Ihrer Erfahrung nach der Punkt erreicht, um im eigenen Arbeitsablauf die Notbremse zu ziehen und sein individuelles Zeitmanagement zu überdenken?

Das Ziehen der Notbremse führt unweigerlich zum Stillstand. Deshalb sollte bereits vorher gegengesteuert werden. Wer regelmäßig sein tägliches Tun im Sinne von „Was läuft eigentlich gut?“ und „Was sollte bzw. möchte ich ändern?“ reflektiert und achtsam im Miteinander ist, bemerkt Alarmsignale deutlich früher. Das immer wiederkehrende ungute Gefühl zum Feierabend, heute wieder nicht „alles“ geschafft zu haben oder der Unterlagenberg, der nicht kleiner werden will, sind wichtige Hinweise, dass der Arbeitsprozess nicht optimal läuft. Wer ständig das Gefühl hat, seinen Aufgaben einen Schritt hinterher zu sein, der sollte sein tägliches Tun schleunigst überdenken. Auch Konzentrationsschwierigkeiten und steigende Fehlerquoten sind eindeutige Anzeichen dafür, dass die eigene Selbststeuerung nach einem Update verlangt. Und spätestens wenn körperliche Zipperlein wie Rücken- oder Nackenschmerzen, Schlafstörungen usw. mit ins Spiel kommen, vielleicht weil der sportliche Ausgleich beim Joggen oder im Fitness-Studio immer öfter ausfallen muss, ist ein Umdenken angesagt.

Gibt es bestimmte Kernfragen, die Führungskräfte sich stellen können, um eine konkrete Analyse ihrer Zeitfresser vorzunehmen, quasi ihre individuelle Liste zusammenzustellen?

Ja, die gibt es. Allerdings nehmen meiner Beobachtung nach gerade Führungskräfte sich selten die Zeit, um sich diese Fragen zu stellen. Mögliche Zeitfresser von Führungskräften liegen häufig in fehlender Einigkeit und Klarheit innerhalb der Führungsmannschaft, in der eigenen Selbststeuerung und Arbeitsorganisation und in der Wirksamkeit des eigenen Teams. Dazu einige exemplarische Kernfragen: Sind wir uns innerhalb der Führungsmannschaft einig in Bezug auf gemeinsame Ziele und Maßnahmen zu deren Erreichung? Und wenn nein, wo konkret nicht? Welches sind die Gründe einer eventuellen Unzufriedenheit? Welche Kompetenzen fehlen mir, um meine Aufgaben effizienter und zielorientierter zu erledigen? Wie viel Prozent meiner Arbeitszeit verbringe ich nicht mit meinen Prio-A Aufgaben und welches sind die Zeitfresser dahinter? Welche vorhandenen EDV-Programme nutze ich nicht professionell genug? Was fehlt meinem Team, um effizienter arbeiten zu können? Ideal ist es, sich ca. eine Stunde Zeit zu nehmen und diese Fragen offen und ehrlich sich selbst gegenüber – schriftlich – zu beantworten.

Wie wichtig ist die Ehrlichkeit zu sich selbst, gegenüber Zwängen, die man sich auferlegt, übersteigertem Pflichtbewusstsein, falschen Priorisierungen, etc., um effektives Zeitmanagement zu betreiben?

Ohne diese Ehrlichkeit mit sich selbst können mögliche Blockaden nicht aufgelöst, den Erfolg verhindernde Muster nicht bearbeitet und Kompetenz-Lücken nicht geschlossen werden. Der nächste Lernschritt ist nur möglich, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, meine Handlungsfelder analysiere, akzeptiere und bereit bin, mir neue Wachstumsfelder zu erschließen.

Vorausgesetzt, die Liste der Zeitfresser steht – wie rückt man ihnen am besten zu Leibe?

Wenn die Liste der Zeitfresser steht, dann liegt in den meisten Fällen klar auf der Hand, wie diesen begegnet werden kann. Dazu ein einfaches Beispiel: Die Führungskraft erkennt, dass einer ihrer zentralen Zeitfresser Meetings sind, die in zu hoher Zahl stattfinden, nicht professionell und nicht zielorientiert genug ablaufen. Es bräuchte ein gemeinsames Überdenken der Meeting-Kultur im Unternehmen. Entscheidend ist nun, dass die Führungskraft sich nicht im Sinne von „unsere Meeting-Kultur kann ich allein nicht ändern“ in der Opfer-Rolle sieht und passiv bleibt, sondern sich für eine Auflösung des Zeitfressers Meeting-Kultur aktiv Mitstreiter sucht und gemeinsam mit diesen an einer Lösung arbeitet, die alle Beteiligten voranbringt. Egal wie der Zeitfresser heißt: Es braucht zuerst einmal den Mut, eine Veränderung überhaupt WIRKLICH zu wollen und dann die Bereitschaft, diese Veränderung konsequent umzusetzen.

Zeitmanagement ist bei Führungskräften immer wieder mit Konfliktpotenzial aufgrund der Abwägung mehrerer wichtiger Vorgänge / Termine behaftet und daher nicht selten eine Gratwanderung. Gibt es Tipps, wo man bei der Lösung ansetzen kann?

Ja. Am Anfang steht die Einigkeit in der Führungsmannschaft über das, was wirklich wichtig ist, die sogenannten Prio-A Aufgaben. Klarheit und Transparenz spart immer Zeit. Die nächste Stufe ist eine souveräne und professionelle Organisation der eigenen Zeit. Das beginnt bei einem gut geführten Terminkalender. Konkret bedeutet das – wieder ganz einfach – Zeit für die wichtigen Aufgaben im Kalender zu reservieren und diese Zeit dann auch gegen nur vermeintlich Wichtiges zu verteidigen. Damit sind wir beim aufrichtigen Nein sagen, wenn der Kalender voll ist bzw. bei der Klärung gegenseitiger Erwartungen, was jetzt eigentlich wichtig ist bzw. was zurückgestellt werden kann. Wer seinen Kalender strukturiert führt und den Aufwand für seine Aufgaben ehrlich abschätzt, der weiß sehr gut, was noch geht und was eben nicht mehr geht. Und wer über diesen kritischen Punkt hinaus Zusagen macht, sollte sich sehr klar darüber sein, wo die Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit liegt und ob bzw. wie oft er diese zu welchem Preis überschreiten möchte. Gleichwohl sehe ich gerade bei Führungskräften im täglichen Tun noch enormes Potenzial hinter der Frage: Mit was beschäftige ich mich eigentlich in meiner Arbeitszeit, wieviel Zeit verliere ich mit unwichtigen Themen und wo sollte ich meine Hausaufgaben machen bezüglich meiner Selbstorganisation, effizientem Arbeiten und der optimaleren Nutzung vorhandener Tools?

Gutes Zeitmanagement ist auch ein Gesundheitsfaktor. Welches sind die zentralen positiven Aspekte und wie erreicht man ein möglichst optimal ausbalanciertes Zeitmanagement?

Gutes Zeitmanagement und bewusste Selbststeuerung auf der Höhe der Zeit, d.h. angepasst an digitale Verhältnisse, ist Pflichtprogramm für Führungskräfte wie Mitarbeiter und bringt die notwendige Souveränität und Stabilität, um auch in einer Zeit höchster Geschwindigkeit gesund zu bleiben. Gutes Zeitmanagement ist somit auch ein Werkzeug für mehr Resilienz, das heißt höhere Widerstandsfähigkeit, Belastbarkeit und Flexibilität. Wer sich nicht aus der Ruhe seiner Zeit bringen lässt, ist weit weniger anfällig für die sogenannten Risikokrankheiten des digitalen Zeitalters und wird dauerhaft mit höherer Leichtigkeit und erfolgreich arbeiten. Außerdem entstehen gute Ideen und Innovationen, die das Unternehmen voranbringen, leichter, wenn eine Führungskraft nicht Sklave ihres eigenen Terminkalenders ist, sondern ihre Zeit gut im Griff hat. Ein optimal ausbalanciertes Zeitmanagement ist erreicht, wenn die zur Verfügung stehende Zeit für alle Lebensbereiche und Rollen auf das, was mir oder uns wichtig ist, abgestimmt wurde.

Es gibt ein vielfältiges Angebot technischer Hilfsmittel zur Unterstützung der eigenen Zeiteffizienz. Haben Sie Favoriten?

So einfach das jetzt klingen mag, das zentrale technische Hilfsmittel und meine Nummer Eins ist der eigene digitale Kalender. Der Zugriff darauf sollte – vor allem für die sogenannten mobilen „Arbeiter“ – von jedem Endgerät aus orts- und zeitunabhängig möglich sein. Intelligente Team-Kalender vereinfachen die Zusammenarbeit enorm.

Das zweite unverzichtbare Werkzeug ist eine elektronische Aufgabenliste, die es ermöglicht, jederzeit und auf Knopfdruck den aktuellen Bearbeitungsstand aller (!) Aufgaben, auch im Team, im Blick zu behalten. Entscheidend ist hier nicht, welches konkrete Tool eingesetzt wird, sondern wie diese Tools im Zusammenspiel abgestimmt und genutzt werden. Eine elektronische Aufgabenliste führen Outlook-Nutzer idealerweise direkt in Outlook und Lotus Notes-Nutzer direkt in Lotus Notes.

Für das Führen und Dokumentieren der Team-Aufgaben sind ergänzend separate Programme und Apps sinnvoll, die passend zum vorhandenen IT-System ausgewählt werden. Ein gutes Werkzeug dafür ist die App ToDoIst, mit der die Zusammenarbeit im Team einfach und unkompliziert digital gestaltet werden kann.

Und mein Favorit Nummer Drei ist ein digitales Notizbuch, dass – überall dabei und an jedem Ort verfügbar – jeden Gedankenschnipsel speichert, so dass keine Information verloren geht. Für MS Office Nutzer ist das Notizbuch der Wahl MS OneNote. Dort können über den getippten Text hinaus Fotos und weitere Dateianlagen gespeichert werden. Ideal ist OneNote auch für handschriftliche Notizen, z.B. in Kombination mit dem iPad Pro und dem Apple Pencil. Diese Kombination steigert die Produktivität enorm.

Soweit meine drei liebsten Tools. Darüber hinaus gibt es einige weitere, die alle so passgenau miteinander kombiniert werden sollten, dass der persönliche Workflow stimmig, effizient und sicher läuft.

Wir bedanken uns für das Interview.

Sehr gerne.

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Dieses Interview erschient zuerst bei der BWGV-Akademie.

 

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